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Forum: Sudderecke & Sprechstunde

Stolpersteine des Lebens

AutorBeitrag

(Bijou)

Stolpersteine des Lebens
Es ist oft schon sehr seltsam, wie sich das Leben verändern kann. Manchmal sind es die Dinge, die wir selbst versuchen zu verändern oder Andere tun es. Wenn aber Andere die Lebenssituation zum Nachteil verändern, ist das Leid und Frust doppelt so schlimm.

Vor 2 Jahren hab ich auf Anraten meiner Sachbearbeiterin der Pensionsversicherung um Berufsunfähigkeitspension beantragt. Immerhin hatte ich alle Voraussetzungen um sie auch gewährt zu bekommen. Ich hab mehr als 5 Jahre gearbeitet, oft sogar 40 Stunden und hab brav ‒ wie jeder andere Bürger Steuern und in meine Pension eingezahlt. Ich fühlte mich als integriertes Mitglied der Gesellschaft ‒ nur mit dem einen Unterschied, dass sich mein Gesundheitszustand massiv verschlechterte. Doch meine BU wurde abgelehnt, da ich bereits meine Behinderung ins Arbeitsleben mit einbrachte. Welche Logik ‒ also beschloss ich in Berufung zu gehen um mein Recht als Mitbürger mit all meinen Pflichten und Rechten zu verteidigen. Ich wurde zu 3 Ärzten geschickt, die meine Arbeitstauglichkeit prüfen sollte: der Orthopäde; Internisten; Neurologie. Diese Verfahren zog sich nun 2 Jahre hin, ohne Aussicht, dass das Ganze mal ein Ende haben sollte. Natürlich verschlechterte sich meine Lebenssituation extrem und ich hatte keinen Anspruch auf Krankengeld, da ich bereits 1 Jahr im Krankenstand war und fiel dann aus dem System raus. Ich beantragte Pensionsvorschuss, das mir dann auch gewährt wurde. Es war für mich unglaublich schwer zu akzeptieren, dass ich nicht mehr arbeiten durfte und konnte. Meine Lungenfunktion verschlechtert sich allmählich und auch meine inneren Organe werden durch meine Rückenverkrümmung stark beansprucht. Beim Essen muss ich extrem aufpassen, denn alles was zu viel Säure entwickelt bedeutet für meinen Magen extrem starke Belastungen und auch der psychische Druck verstärkt sich. Ich hab also all meine Kräfte darauf verwendet zu meinem Recht zu kommen. Die Pension hätte mir zumindest ein fixes Einkommen ermöglicht und ich wäre auch aus der Arbeitslosenstatistik rausgefallen.

Alles Punkte, die FÜR eine Pension sprach. Ich hätte beruhigend nach Nürnberg ziehen können und das Geld wäre mir auf mein deutsches Konto überwiesen worden. Ich hätte mein Recht bekommen ... aber oft läuft es anders, als man es erwartet. Und ich dachte nicht, dass es mich so schwer treffen würde ‒ vielleicht hab ich es geahnt, aber nicht gehofft. Vor 2 Wochen war die letzte Verhandlung und meine BU wurde auch in dieser Instanz abgelehnt ‒ der Grund: Ich habe bereits 1993 als Ferial-Praktikantin gearbeitet und hätte laut Befund des Orthopäden NIE arbeiten dürfen. Das bedeutet für mich, dass ich 5 Jahre meines Lebens verwirkt habe. Ich hätte nie arbeiten sollen, ich hätte mich wie wahrscheinlich viele andere Behinderte meine Hände in den Schoss legen sollen und mich von Vater Stadt aushalten sollen. Es ist eine Welt für mich zusammengestürzt. Noch mal den Kampf aufnehmen? Noch mal mich von Ärzten beurteilen? Noch mal über mich richten lassen? Alles noch mal? Ich hab lange mit Timo gesprochen, hab geweint und geflucht. Ich hab mich so verarscht gefühlt. Und zum ersten mal hab ich es bereut, nach Wien gezogen zu sein. Und ich frage mich, ob es das alles Wert war. ‒ und es war alles Wert. Noch hab ich das schriftliche Urteil nicht, aber ich werde weiterkämpfen. Und dieses mal kämpfe ich nicht allein.

Ich hab Timo und viele andere starke Menschen, die mich weiter unterstützen und mit mir kämpfen. Auch wenn ich noch oft zornig und müde sein werde, werde ich weiter kämpfen, weil ich das Recht habe, wie jeder andere Mensch. Und ich gebe zu, dass ich müde bin. Ich bin so müde, um mit den Ärzten zu telefonieren, Termine ausmachen, hinzugehen, wieder nach Hause gehen, Hoffnung haben und dann vielleicht wieder zu verlieren. Ich frag mich dann immer, was mich dazu treibt, immer wieder aufzustehen und wieder von vorne zu beginnen. Und dann sehe ich all diese Menschen, die mir helfen, die mich aufrichten, die mich stärken, die mir Mut zu sprechen. Und vielleicht will ich es auch für sie schaffen. Für sie kämpfen, sie nicht enttäuschen. Klingt das verrückt? Ja ... vielleicht.

Ich weiß, dass ich in meinem momentanen gesundheitlichen Zustand nicht mehr arbeiten kann. Eine Woche ohne irgendwelchen Schmerzen ist beinahe traumhaft. Ich versuche dennoch überall nachzufragen ob man kleine Arbeiten hat, denn das Geld wir knapp. Die Arbeitssituation ist schwierig, schon für Gesunde ist die Arbeitsuche eher ein Hürdenlauf.

Ich gebe zu, dass ich Angst davor habe, was noch kommen wird. Ich wünsche mir selbst kein Glück, sondern Mut und Kraft, dass ich nicht aufgebe.

Ich kann doch stolz sein auf das, was ich bisher geschafft habe, nicht wahr? Ich kann doch zurückblicken und sagen, dass sich so Vieles für mich verbessert hat. Ich kann doch daraus meine Kräfte ziehen und wenn ich falle, weiß ich, dass ich aufgefangen werde. Ich sehe immer, wie sich Leute über ihre Probleme beschwerden und niemals dankbar sein können. Ich bin so dankbar für die Menschen, die mich lieben, so wie ich bin und auch stark für mich sein können. Wir sollten alle dankbar für die kleinen Geschenke des Lebens. Ja, wir sollten einfach mal danke sagen.

Meine Zukunftsvoraussichten? Sehr positiv. In jedem Falle, das ist klar.

Bijou
... das Geheimnis liegt in der Sauce ... zit. Grüne Tomaten.
28.05.2004 16:38